Die Brüder als Gründerväter
Haben Sie schon einmal etwas von der Herrnhuter Brüdergemeinde gehört? Einige von Ihnen werden jetzt mit den Achseln zucken, andere denken vermutlich an Holland und nur wenige werden wahrscheinlich wissen, was diese christliche Gemeinde mit der Gründung des dänischen Ortes Christiansfeld zu tun hat. Tatsächlich haben die Herrnhuter ihren Ursprung in den Niederlanden, es bestand jedoch ein enger Kontakt zum dänischen Königshof. Auf Grund dieser Verbindung reiste der damalige König der Dänen, Christian VII., im Jahr 1768 in den holländischen Ort Zeist und konnte sich dort persönlich von dem Fleiß der Handwerker und Kaufleute, aus denen die Brüdergemeinde bestand, überzeugen.
Obwohl König Christian kein Anhänger des Pietismus war, erlaubte er der Herrnhuter Brüdergemeinde im Jahr 1771, im Gebiet Tyrstrup eine Siedlung zu gründen. Der Geheime Kabinettsminister Johann Friedrich Struensee, der die absolute Regierungsgewalt innehatte, unterzeichnete den Beschluss, wurde kurz darauf jedoch verhaftet und schließlich gestürzt. Dennoch konnte die Brüdergemeinde am 01. April 1773 den Grundstein ihres Ortes in der Lindenstraße 17 legen. Ihre dänische Siedlung nannten sie aus Dankbarkeit dem König gegenüber "Christiansfeld", vergaben also einen deutschen Namen. Wer sich nun darüber wundert, warum nicht die korrekte dänische Bezeichnung "Christiansmark" ("Mark" bedeutet auf Dänisch "Feld") benutzt wurde: im 18. Jahrhundert war Deutsch neben Französisch Hofsprache im dänischen Königreich.
Der rasch wachsende Ort Christiansfeld lag zudem zu damaliger Zeit im Herzogtum Schleswig; das war kein Zufall, denn König Christian VII. wollte so Spannungen mit der evangelisch-lutherischen Kirche vermeiden, die im dänischen Gebiet den stärksten Einfluss hatte. Ob in Schleswig oder Dänemark liegend, das war der Brüdergemeinde mit ziemlicher Sicherheit gleich - sie verstanden sich als Missionare ihres eigenen Christenpfads und genossen die Sonderstellung im Herzogtum, die sich unter anderem durch eine eigenständige Verwaltung, Zollfreiheit und Gewerbeprivilegien darstellte.
Von Dänemark in die ganze Welt
Die Herrnhuter Brüdergemeinde nahm ihren missionarischen Gedanken sehr ernst. Eines der ersten Gebäude, das in der Planstadt errichtet wurde, war daher die Kirche. Wie alle Gotteshäuser in Christiansfeld war diese auffällig schlicht gehalten, mit einem weißen, schmucklosen Innenraum als Sinnbild für den einfachen Lebensstil der Brüdergemeinde. Die Herrnhuter hielten nichts von einer prunkvollen Erscheinung, ihnen kam es auf einen tieferen Sinn im Leben an, den sie im Pietismus fanden. Diese Form des Protestantismus gilt durch seine starke Gewichtung auf die eigene Persönlichkeit einerseits zwar als frühaufklärerisch, durch seine strikte Umsetzung ist aber auch der konservative Gedanke deutlich zu erkennen.
Auf Grund der Vorteile bei Zöllen und Gewerbe wuchs Christiansfeld rasch zu einem einflussreichen Städtchen heran, welches einen permanenten wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Dies erzeugte ziemlichen Unmut in der Region, vor allem bei den Handeltreibenden in Hadersleben. Durch seine Lage zwischen eben diesem Ort und Kolding konnte Christiansfeld sich schnell einen Namen machen, verfügte über eine Tabakwarenfabrik, eine Kerzenzieherei, eine Näherei und auch über eine ganz spezielle Handwerkskunst, die noch heute im dänischen Kachelofenbau seine Verwendung findet. Die wirtschaftlichen Überschüsse nutzte die Brüdergemeinde schließlich auf ihren Missionen, um so Sklaven in Dänisch-Westindien sowie in der Karibik und die Inuit auf Grönland zu unterstützen.
Welchen Einfluss die Herrnhuter auch noch im heutigen Dänemark haben, zeigt die Parkanlage Christinero auf beeindruckende Weise. Der idyllische Park liegt unweit von Christiansfeld in Richtung Westen und wurde von der sehr frommen und tief religiösen Kammerherrin Christina Friederica von Holstein angelegt. Bis heute ist der Park im Besitz der Brüdergemeinde, die ihm auch seinen Namen gab, der an seine Gründerin erinnern soll. Neben einheimischen Sträuchern sind hier auch exotische Bäume bepflanzt, deren Samen die Herrnhuter aus ihren Einsatzgebieten überall auf der Welt mitbrachten. Der Park erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, ebenso wie die Brüdergemeinde selbst - eine lebendige Kirchengemeinschaft mit viel Tradition und unermüdlichem Engagement in Hilfsprojekten auf allen Kontinenten.
Weltkulturerbe, Hochzeiten und Honigkuchen
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei Christiansfeld um eine Planstadt. Der Unterschied zu einem gewachsenen Ort liegt darin, dass das gesamte Stadtbild nach einer festen Anordnung entstand - als Vorbild diente hier der niederländische Ort Zeist. Eindrucksvoll beweisen das auch die geraden, rechtwinklig angelegten Straßen, die überall in der Stadt zu finden sind. Das allerdings war nicht der ausschlaggebende Punkt, weswegen Christiansfeld am 04. Juli 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde; dafür ist die sehr gut erhaltene Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeinde verantwortlich, da viele dieser Bauten noch immer maßgeblich das Erscheinungsbild der Stadt prägen.
Die Herrnhuter Bauten bestehen zumeist aus hellen Ziegeln und Linden säumen die drei ursprünglichen Hauptstraßen. Auch heute noch müssen Neubauten in Christiansfeld der historischen Bauweise mit hellen Ziegeln angepasst werden, sodass das traditionelle Stadtbild erhalten bleibt. In dem Ort gibt es viel an Geschichte zu entdecken: so befindet sich zwischen der Norder- und der Lindenstraße der zentrale Platz mit dem Betsaal der Brüdergemeinde samt dem Brunnen, welcher das eigentliche Wahrzeichen von Christiansfeld darstellt. Auch der "Gottesacker", der Friedhof des Ortes, ist mit seinen alten Grabsteinen ein interessanter Platz, der viel zu erzählen hat. Und wer einmal eine regelrecht historische Leckerei kosten möchte, der sollte unbedingt einen Honigkuchen (auf Dänisch "Honningkage") kaufen. Dieser Kuchen kam mit der Brüdergemeinde nach Christiansfeld, wurde im Jahr 1783 erstmals von dem Bäcker Christian F. Rasch hergestellt und wird seitdem nach dem traditionellen Rezept in den vielen Konditoreien des Ortes zubereitet.
Und wer weiß, vielleicht wird eben dieser Honigkuchen bei dem einen oder anderen Brautpaar ja sogar als "Hochzeitstorte" benutzt? Denn Christiansfeld als historischer Ort wird bei Heiratswilligen aus der ganzen Welt immer populärer, sodass es inzwischen schon professionelle Angebote gibt, wie der schönste Tag des Lebens im Unesco-Ort noch viel schöner werden kann.